Spaltenbergung modifiziert

Empfehlungen vom Bundeslehrteam Bergsport für die „lose Rolle“

Stürze in Gletscherspalten tauchen in entsprechenden Unfallstatistiken meist mit nur geringen Werten auf. Ein Fehler wäre es aber, daraus auch ein geringes Sturzrisiko abzuleiten. Denn die Dunkelziffer ist hoch: Wenn nichts Gravierendes passiert, wird auch nichts gemeldet. Und Hand aufs Herz: Welcher Hochtourist hat vorsichtig nach vorne gerobbt oder von seinen Seilgefährten aus dem Gefahrenbereich gezogen worden? Tatsächlich ist die Spaltensturzgefahr auf schneebedeckten Gletschern allgegenwärtig.

Gerade im Frühjahr, wenn für Skihochtouristen die Gletschersaison beginnt, ist es also durchaus sinnvoll, sich nochmals mit der Technik der Spaltenbergung zu beschäftigen. Erste Wahl ist dabei die sogenannte „lose Rolle“. Diese Technik ist so alt wie bewährt. Trotzdem erlaubt der Einsatz von neuen Ausrüstungsgegenständen und Schlingen eine Modifizierung.

Ausprobiert wurde: Petzl Mini-Traxion (Seilrolle mit Klemmfunktion), Ropeman (Wildcountry), T-Bloc (Petzl) oder Duck (Kong) und eine 240 Zentimeter lange vernähte Dyneema Bandschlinge (Beal 6 mm).

Hier liegt die Problematik: Da im Hochtourenbereich am Gletscher gerne dünne und leichte Seile oder sogar Halbseile zum Einsatz kommen, werden in der Regel Reepschnüre mit einem Durchmesser von 5–6 Millimetern verwendet, um mit einem Prusikknoten eine ausreichende Klemmwirkung zu erreichen. Größtenteils kommen nach wie vor klassische Reepschnüre aus Polyamid mit einer Festigkeit laut Norm von 5 beziehungsweise 7,2 Kilonewton zum Einsatz.

Wer nun die Festigkeit der verwendeten Prusikschlingen abschätzt und dabei Knoten, Alter und Abnutzung berücksichtigt, kommt mit Sicherheit auf unter 50 Prozent des Normwertes. Das wäre eine bei einer Spaltenbergung mit der losen Rolle durchaus grenzwertige Belastung. Schließlich sind an der Reepschnur vorne am Spaltenrand Retter und Gestürzter gesichert.

Hochfestes Schlingenmaterial wie eine Dyneema Bandschlinge mit sechs Millimetern und einer minimalen Bruchlast von 22 Kilonewton löst dieses Problem. Um eine ausreichende Klemmwirkung zu erreichen, müssen beim Prusikknoten dann allerdings grundsätzlich drei Wicklungen angebracht werden.

Die Selbstsicherung für den Retter lässt sich mit einem gewöhnlichen Sackstich- oder Achterknoten herstellen. Neu ist lediglich der Knoten, der als Rücklaufsicherung für die lose Rolle dient. Es handelt sich sozusagen um einen etwas abgewandelten, gesteckten Prusik, der im Doppeltstrang mit der endlos vernähten Bandschlinge gelegt wird. Die Besonderheit dabei: nach links zwei Windungen, nach rechts eine Windung um das Seil legen – oder umgekehrt. Wichtig ist auch: Der Abschluss des Knotens muss unbedingt mit einem Kreuzschlag erfolgen, da sich der Knoten aufgrund des glatten Dyneema-Materials sonst verziehen kann und schlecht klemmt. Dabei muss die Bandschlinge gedrittelt werden: etwa ein Drittel für den Retter und zwei Drittel für die Rücklaufsicherung der losen Rolle.

Alternative Rücklaufsicherung: Einige bei Bergsportlern großen Anklang findende Klemmgeräte können ohne Weiteres auch in der Spaltenbergung eingesetzt werden. So eignet sich zum Beispiel die Seilklemmen Ropeman, T-Block oder Duck sehr gut als Rücklaufsicherung für das Zugseil der losen Rolle.

Einsatz von Umlenkrollen: Zur Reduzierung der Reibung im Karabiner der losen Rolle ist generell eine Umlenkrolle zu empfehlen. Wenn hier eine Mini-Traxion mit Klemme von Petzl eingesetzt wird, erübrigt sich die Rücklaufsicherung beim Retter. Ist die lose Rolle erst einmal beim Gestürzten angekommen, muss er sie nur in seinen Anseilpunkt einhängen und die Klemme aktivieren. Bitte aber nicht vergessen das lose Seilende abzusichern, ansonsten könnte es sich samt Material in die Spalte verabschieden.

Generell gilt: Alle Techniken sollten vorher trainiert werden, damit jeder im Ernstfall schnell und effektiv helfen kann. Dabei sollte unbedingt auch die mitgeführte Ausrüstung getestet werden. Vor allem das Seil und das verwendete Schlingenmaterial müssen optimal aufeinander abgestimmt werden, damit die Klemmknoten sicher halten. Ebenso sollte jeder Teilnehmer Funktionsweise und Einsatzmöglichkeiten von zusätzlichen Geräten wie Ropeman oder Mini-Traxion kennen.

Prusikknoten: ja oder nein? Über diese Frage wird beim Anseilen immer wieder intensiv diskutiert. Tatsächlich kann in den meisten Fällen auf eine vorbereitete Prusikschlinge am Seil verzichtet werden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil die Anseilmethode mit dem Hüftsitzgurt ein relativ komfortables Hängen ermöglicht und eine sofortige Entlastung mit der Trittschlinge nicht mehr erste Priorität hat. Das Bereithalten der erforderlichen Ausrüstung für die Spaltenbergung, gut sortiert und griffbereit am Klettergurt, ist dagegen ein absolutes Muss.

Günther Leicht, Bundesausbildungsleiter Bergsport
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in NATURFREUNDiN 1-2014 (S. 18/19)