Wenn Silvester Frühling ist

Immer weniger Schneetage im Alpenraum dokumentieren die Folgen der Erderwärmung

Kandahar Schneekanone ohne Schnee
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Die Richterin im Ruhestand Christine Eben ist Vizepräsidentinvon CIPRA Deutschland und BundesfachgruppenleiterinNatur- und Umweltschutz der NaturFreundeDeutschlands: eben@naturfreunde.de

Schneesportler hatten es in den Weihnachtsferien nicht leicht. Schnee lag nur in hohen Lagen der Alpen, darunter ging wenig bis gar nichts. Im Skigebiet am Brauneck bei Lenggries zum Beispiel (700 bis 1.712 Höhenmeter) standen alle Lifte still, am Sudelfeld bei Bayrischzell (800 bis 1.563 Meter) waren allein zwei der sechzehn Anlagen in Betrieb. Von den 32 Pistenkilometern hatten genau zwei geöffnet.

Ähnlich sah es fast überall in den bayerischen Alpen aus – trotz der Millioneninvestitionen, die in den letzten Jahren in Beschneiungsanlagen geflossen sind. Allein am Sudelfeld waren vor Kurzem noch 15 Millionen Euro in den Bau von Schneekanonen, eines Beschneiungsbeckens und eines hochmodernen Sechsersessellifts investiert worden, 3,1 Millionen Euro davon als Subventionen des Freistaates Bayern. Doch wenn zu Silvester Frühling ist, kann auch teure Technik keinen Schnee produzieren.
Anstatt zukunftsorientierte Winterurlaubskonzepte zu entwickeln, fordern Liftbetreiber und Tourismusmanager die weitere Aufrüstung mit Schneekanonen. Dabei prognostizieren alle Gutachten, dass auch die sogenannte „technische Schneesicherheit“ sehr bald schon an ihre Grenzen stoßen wird. Lediglich in der Anzahl der noch möglichen Jahre unterscheiden sich die Vorhersagen. Das Argument, „milde Winter hat es immer schon gegeben“ greift nicht. Denn die Statistik weist immer weniger Schneetage aus. Das Klima erwärmt sich unaufhaltsam.
In den Alpen ist die Klimaerwärmung etwa doppelt so stark wie im globalen Durchschnitt – was nicht nur den Schneesport trifft. Nachweislich haben Häufigkeit und Intensität von Wetterextremen bereits zugenommen, im besonders sensiblen Alpenraum gibt es immer mehr Hochwasser und Erdrutsche.

Bis zu 85 Prozent Gletschermasse schmelzen
Wenn es wärmer wird und die Null-Grad-Grenze immer weiter nach oben wandert, verschieben sich auch biologische Zonen, was viele alpine Pflanzen in ihrem Bestand gefährdet. Und das rasante Abschmelzen der Gletscher dürfte zudem dazu führen, dass am Ende des Jahrhunderts bis zu 85 Prozent der Gletschermasse verschwunden sind – mit ganz erheblichen wasserwirtschaftlichen Konsequenzen weit über den Alpenraum hinaus. Dieses düstere Szenario stammt nicht etwa von Umweltverbänden, sondern vom Umweltbundesamt.
Im Dezember vorigen Jahres hatte sich die Weltgemeinschaft beim Klimagipfel in Paris (COP21) zwar auf eine Begrenzung der globalen Temperaturerhöhung deutlich unter 2 Grad – mit weitergehenden „Bemühungen“ auf 1,5 Grad – geeinigt. Doch so positiv dieses Signal auch zu werten ist: Die bisher kommunizierten nationalen Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz reichen bei Weitem nicht aus, um dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen. Die einzelnen Staaten müssen stark nachlegen und ihren Worten auch konkrete Taten folgen lassen.
Um einen effektiven Schutz der Alpen kümmert sich schon lange staatenübergreifend die Alpenschutzkommission CIPRA (Commission Internationale pour la Protection des Alpes), eine Dachorganisation der nationalen CIPRAs, die sich die nachhaltige Entwicklung der Alpen auf die Fahnen geschrieben hat. Hierzulande bündelt CIPRA Deutschland die Kräfte von derzeit elf Organisationen, darunter auch die NaturFreunde.
Ein großes Verdienst der seit mehr als 50 Jahren bestehenden CIPRA ist die Ausarbeitung der Alpenkonvention, deren Regelungen die acht Alpenstaaten völkerrechtlich binden. Darin geht es zum Beispiel um Raumplanung, Tourismus, Energie oder den Verkehr, die Berglandwirtschaft und den Bergwald und natürlich den Naturschutz.

EU setzt auf Wirtschaft statt Nachhaltigkeit
Mittlerweile wurde jedoch von der EU eine makroregionale Strategie für den Alpenraum EUSALP (EU Strategy for the Alpine Region) beschlossen, bei der zu befürchten ist, dass die Förderung der Wirtschaft im Mittelpunkt steht. Im Gegensatz zur Alpenkonvention umfasst das EUSALP-Geltungsgebiet auch weite Gebiete des Alpenumlandes, zum Beispiel die gesamten Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg. Dadurch werden die Interessen von circa 14 Millionen Alpenbewohnern mit denen von weiteren rund 66 Millionen Anwohnern in einen Topf geworfen. Die neue Zielsetzung wie auch das neue Kräfteverhältnis werden die CIPRA herausfordern.
Deutschland hat 2016 den alle zwei Jahre wechselnden Vorsitz der Alpenkonvention inne. Zur XIV. Alpenkonferenz im Oktober auf der Insel Herrenchiemsee wird auch Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) erwartet. CIPRA und NaturFreunde hoffen, dass dort wirklich zukunftsweisende Beschlüsse für den Klimaschutz und die nachhaltige Entwicklung in den Alpen gefasst werden. Das würde den Schneesport in tieferen Lagen zwar auch nicht mehr retten, aber möglicherweise den hochsensiblen Lebensraum Alpen.

Christine Eben
Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der NATURFREUNDiN 1-2016.