Warum die NaturFreunde ein proletarisches Sport-Verständnis entwickelten

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Innerhalb der NaturFreunde wurde seit ihrer Gründung im Jahr 1895 über die Bedeutung des Sportes und der Touristik intensiv diskutiert. Ziel war, ein eigenständiges, proletarisches Verständnis von Sport zu entwickeln und damit dem bürgerlichen Sportverständnis, das auf Hochleistung, Wettbewerb und kapitalistischen Vermarkungsmöglichkeiten aufbaute, einen solidarischen und gesellschaftlichen Sportbegriff entgegenzustellen.

Zu dieser Diskussion erschien in Der Naturfreund im Jahr 1928 der Artikel "Die Touristik und der Klassenkampf" von Albert Maurüber. Ein Auszug:

„Die Wirkung der bürgerlichen touristischen Leistung setzt sich zusammen aus einer außerhalb des Klassenkampfes gewonnen persönlichen Befriedung und aus einer Ertüchtigung, welche mittelbar oder unmittelbar der bürgerlichen Klasse, ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Stellung nützt.

Nicht 'als Mensch' wandert, klettert, fährt man Ski, sondern als klassenbestimmter Mensch. Der Zugehörigkeit kann man vergessen, nicht aber sie in der unterbewußten Fortwirkung behindern. Infolgedessen tut man jede Handlung, denkt jeden Gedanken, empfindet jedes Gefühl so wie die Erziehung durch die Gesellschaft sie gewollt oder vorbereitet hat.

Vermeint der Proletarier „als Mensch“ zu wandern, so behält er doch die menschliche Beschaffenheit, die ihm die Gesellschaft als Untertanen, Untergebenen, Ausgebeuteten angelernt und aufgezwungen hat. Dies ergibt sich aus allen Handlungen des Proletariers in den Bergen: Wie er dem bürgerlichen Touristen begegnet, wie er sich unterwegs benimmt, in der Hütte, bei Rettungsexpeditionen, in der Gefahr, ja in allem, was er draußen tut oder zu tun unterläßt.

Ein proletarischer 'Als-Mensch-Tourist' stützt die herrschende Ordnung

Auf die Leistung gesehen stützt solch ein proletarischer 'Als-Mensch-Tourist' die herrschende Ordnung nicht minder als der sich bewußt zur bürgerlichen Klasse Zählende: Ausgeruht und zu neuem Ausgebeutetwerden bereit, kehrt er zurück, weiß nichts von seinen unsichtbaren Ketten und ist deshalb nicht fähig, sich frei zu machen.

Erst wenn der wandernde Proletarier sich seiner Rolle in der Gesellschaft und im Produktionsprozeß bewußt geworden ist, also nicht zuletzt auch der Gründe, warum er wandert, verpuffen seine Kräfte in der Touristik nicht wirkungslos für die Klasse, sondern werden zu bestimmten Handlungen im Interesse der Arbeiterklasse geübt, und wenn es „nur“ zur Führung eines bewußten Proletarierlebens wäre.

Solche proletarische Touristik ist nicht mehr Nachahmung der bürgerlichen, sondern Einbeziehung einer neuen Kraftquelle in den Klassenkampf.“

Aus Der Naturfreund 32/1928, S. 231-234 (233)