Rechtspopulisten: „Zentrales Programm ist die Fremdenfeindlichkeit“

Der Faschismusexperte Heiko Langner über den Front National, die AfD und die NPD

"In der politischen Praxis würden die Vorstellungen der AfD auf einen autoritären Umbau des Staates auf völkisch-kultureller Grundlage hinauslaufen", warnt der Politologe Heiko Langner in der Märzausgabe des Mitgliedermagazins der NaturFreunde Deutschlands und verweist auf Ungarn unter Regierungschef Viktor Orban als das "wohl passendste Anschauungsbeispiel".

Vor den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt sucht die NATURFREUNDiN nach Antworten auf die Frage, aus welchem Schoß rechtspopulistische und rechtsradikale Bewegungen wie AfD, NPD und der französische Front National entspringen.

NATURFREUNDiN: Bei den Regionalwahlen in Frankreich wurde der Front National im ersten Wahlgang stärkste Partei. Bundesfinanzminister Schäuble hat die Partei als faschistisch bezeichnet. Woran kann man das festmachen?

Heiko Langner: Der Front National lehnt den Gleichheitsanspruch der universalen Menschenrechte ab, indem er Menschen, beziehungsweise bestimmte Menschengruppen mit minderen Rechten definiert. Das betrifft vor allem Migranten und Muslime. Der zentrale Programmpunkt ist dabei die Fremdenfeindlichkeit.

In der Parteigeschichte des Front National sind das Führungspersonal sowie Mitglieder und Anhänger auch wiederholt durch die Relativierung des Holocaust aufgefallen und haben nicht vor Gewalt gegen Andersdenkende und Minderheiten zurückgeschreckt. Das sind alles Merkmale von traditionellen faschistischen Parteien. Zwar hat sich die Partei zwischenzeitlich ein moderneres, von Gewalt geläutertes Image zugelegt, um neue Wählerschichten aus der bürgerlichen Mitte anzusprechen. Das Ziel ist aber dasselbe geblieben und lautet: „Frankreich den Franzosen“.

Im zweiten Wahlgang holte der Front National zum Beispiel in der Region Provence-Alpes- Cote d’Azur mehr als 45 Prozent der Stimmen. Das waren genau 886.147 Stimmen für die französischen Faschisten. Wo liegt die Massenbasis dieser Partei?

Neben traditionell rechtsnational orientierten Wählern erreicht der Front National zunehmend auch national gesinnte Teile der Arbeiterschaft aus bildungsfernen und sozial prekären Verhältnissen, die vor allem in den vom ökonomischen Strukturwandel besonders betroffenen Regionen Frankreichs leben.

Heiko Langner ist Politikwissenschaftler und beschäftigt sich mit der Entwicklung von rechten Parteien und Bewegungen in Europa sowie dem Antifaschismus, aber auch mit Verteidigungs- und Sicherheitspolitik und den Transformationsprozessen im postsowjetischen Raum in der Türkei und im Nahen Osten.

Die Partei hat sich sogar für Franzosen maghrebinischer Herkunft geöffnet, sofern sie sich freiwillig kulturell assimilieren und zur „französischen Identität“ im Sinne des Front National bekennen. Die klassischen Unterschiede zwischen „links“ und „rechts“ verschwimmen dadurch. Die Partei sieht sich auf dem Weg zur identitären Volkspartei, die breite Gesellschaftsschichten ansprechen will. Die sozialen Gegensätze verspricht sie mit national- chauvinistischer Umverteilungspolitik zu lösen: Nur Franzosen sollen den Schutz des Staates und Sozialleistungen bekommen.

Völkisch und rassistisch argumentiert auch AfD-Sprecher Björn Höcke. Wie sieht sein Weltbild aus und welche historischen Linien zieht der beurlaubte Geschichtslehrer aus Nordrhein- Westfalen?

Ideengeschichtlich lässt sich das Weltbild von Björn Höcke am ehesten noch den Vertretern der sogenannten „Konservativen Revolution“ Ende der 1920er-Jahre zuordnen. Der rasante ökonomisch-technologische Wandel soll gesellschaftlich mit einer Rückbesinnung auf traditionelle Werte und die eigene Kultur eingehegt werden, um Identitätsverluste zu vermeiden. Es geht darum, die angeblich bedrohte „kulturelle Identität“ der deutschen Nation gegen „multikulturelle Gesellschaftsexperimente“ von „volksfernen Politikern“ zu verteidigen.

Die Nation wird hierbei als eine völkisch-kulturelle Gemeinschaft gedeutet, in der sich Menschen nichtdeutscher Herkunft und andere Minderheiten wie Muslime mindestens anzupassen haben. Auch Traditionslinien wie das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ und deutsche Kaiser wie Otto der Große (Otto I.) werden aufgegriffen, weil sich damit eine vermeintlich glorreiche Vergangenheit und historische Größe beschwören lassen.

Monatelang lag die AfD in den bundesweiten Umfragen bei vier bis fünf Prozent. Dann verließen Professoren wie Bernd Lucke die Partei, weil die AfD weiter nach rechts rückte. Jetzt wird die AfD in Umfragen bei zehn Prozent plus gehandelt. Was zieht die Wähler an?

Durch die Politik der Großen Koalition und den innerparteilichen Modernisierungskurs von Angela Merkel wurde das konservative Profil der CDU aufgeweicht. Die AfD versucht, die entstandene Vertretungslücke im rechtskonservativen Spektrum zu füllen. Die Partei will gesellschaftliches Protestpotenzial als Widerstand von „unten“ gegen das politische Establishment mobilisieren.

Thematisch spielt ihr die Flüchtlingskrise in die Hände, weil sie aus Sicht vieler die Frage nach der Handlungsfähigkeit des Staates aufwirft. Die AfD bedient populistisch die Ressentiments derjenigen, die im Bereich der inneren Sicherheit einen repressiven Staat sowie eine „deutsche Leitkultur“ gegen angeblich drohende Überfremdung durch zu viele Geflüchtete fordern.

Sind AfD und NPD ideologisch verwandt?

Beide Parteien beziehen sich positiv auf Traditionen des deutschen Nationalismus und eine behauptete Überlegenheit der deutschen Kultur. Die NPD ist allerdings eine offen faschistische Partei, die an die Volksgemeinschaftsideologie der Nazis anknüpft und für Rassismus und Antisemitismus steht. Die Mitglieder verachten die parlamentarische Demokratie und zeigen eine extrem hohe Gewaltaffinität in politischen Auseinandersetzungen.

Die AfD ist derzeit eine rechtspopulistische Partei mit starken deutschnationalen Einflüssen. Im Unterschied zur NPD verorten sich ihre Mitglieder und Anhänger selbst meist noch innerhalb des demokratischen Spektrums. Der Einfluss von rechtsradikalen Kräften nimmt aber stetig zu.

In der politischen Praxis würden die Vorstellungen der AfD auf einen autoritären Umbau des Staates auf völkisch-kultureller Grundlage hinauslaufen, für den gegenwärtig das EU-Mitglied Ungarn unter Regierungschef Viktor Orban wohl das passendste Anschauungsbeispiel liefert. Zwischen dem Deutschnationalismus und dem Faschismus sind aber fließende ideologische Übergänge möglich. Vieles wird von der weiteren Entwicklung der AfD und auch einem möglichen NPD-Verbot abhängen.

Interview Hans-Gerd Marian
Dieses Interview ist zuerst erschienen in der NATURFREUNDiN 1-2016.