Es ist Wahnsinn, wie wir uns ernähren!

Ein Plädoyer für mehr Genuss auf dem Teller

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Es ist so einfach! Längst gibt es in den allermeisten Supermärkten Schafskäse, Kartoffeln, Joghurt oder Reis in Bioqualität. Lebensmittel aus ökologisch kontrolliertem Anbau: Sogar die Fans von Leberwurst und Steak könnten Bio kaufen – und so die Welt ein wenig besser machen. Leider aber werden nicht einmal sechs Prozent der deutschen Nahrung aus ökologischer Erzeugung produziert.

Weil es zu teuer ist? Das ist eine Frage der Perspektive! Wer in Westdeutschland im Jahr 1960 ein Kilogramm Schweinekotelett kaufen wollte, musste dafür im Durchschnitt zwei Stunden und 37 Minuten lang arbeiten. Im Jahr 2009 waren für das Kilo nur noch 32 Minuten Arbeitszeit notwendig.

Hinter dem rasanten Preisverfall steckt ein Strukturwandel: Schweinefleisch wurde im Jahr 1960 noch auf Bauernhöfen erzeugt. Heute wird es von Tierwirten in Mastfabriken produziert. Mit teuren Nebenwirkungen, die leider nicht im Ladenpreis enthalten sind: Die industrielle Landwirtschaft vergiftet das Grundwasser, führt zum Artensterben, rodet Regenwälder, heizt das Klima an und sorgt dafür, dass billiges Fleisch uns teuer zu stehen kommt.

Wir widmen uns dem Thema auch ganz praktisch mit den bundesweiten Aktionstagen für nachhaltige Ernährung – gerecht, gesund, klimafreundlich vom 27. September bis 13. Oktober 2019. Hier findest du mehr Infos.

Dabei ist es doch so einfach! Nie gab es eine so bunte Küche wie heute, nie so viele verschiedene Zutaten. Galt in den 1960ern der Sauerbraten noch als exotisches Sonntagsmahl, so verlocken heute tagtäglich Spezialitäten wie die französische Quiche, marokkanischer Couscous, brasilianische Feijoada oder die Pho-Suppe aus Vietnam. In Mecklenburg baut eine Firma „Essbare Landschaften“ an, „essbare Blüten, seltene Würzkräuter, rare Gemüsesorten“, wie Firmengründer Olaf Schnelle erklärt. Aus Ostfriesland kommen leckere Chutneys, „eine Art süßsaure Marmelade aus der indischen Küche zum Würzen“, erläutert Firmeninhaberin Waltraud Ihmels. In Baden-Württemberg werden Borretsch, Blutampfer und Brennnessel angebaut, „in Bio-Qualität“, wie die Firma Kräuterfeld versichert. Unzählige Kochsendungen zeigen immer ausgefallenere Speisen und die wunderlichsten Zutaten im Fernsehen. Und Kochbücher lassen sich längst wieder in den Bestseller-Listen finden.

Einfach mal auf Fleisch verzichten! Das ist gesünder, macht mehr Spaß und hilft, die Zerstörung unserer Umwelt zu reduzieren. Zum Beispiel Altrenogest: Dieses Hormonpräparat wird seit einigen Jahren eingesetzt, um den Preis für Schweinefleisch noch weiter zu senken (siehe auch NATURFREUNDiN 1-18). Altrenogest sorgt nämlich dafür, dass die Sexualzyklen der Sauen synchronisiert werden. Das bedeutet: Alle weiblichen Schweine werfen zeitgleich ihre Ferkel. Der Vorteil für den Produzenten ist enorm: Er kann exakt planen, wann wie viele Ferkel zur Welt kommen, wann der Transporter rollt, der Stall anschließend gereinigt werden kann. Um dann eine neue „Ferkelproduktion“ zu starten.

Dummerweise hat die Praxis einen Haken: Spuren der Hormone gelangen ins Abwasser und damit in die Landschaft. In den betroffenen Gewässern verweiblichen alle männlichen Tiere, ganze Biotope sind vom Aussterben bedroht. Schweinefleisch ist dank „Altrenogest“ in der Produktion so billig geworden, dass es sich für deutsche Mast-Fabriken lohnt, Schweinefleisch bis nach China zu exportieren. Die verheerenden Umweltschäden aber muss der Staat – also Sie als Steuerzahler* in – reparieren. Die Trinkwasserwerke haben bereits Alarm geschlagen.

Wir müssen besser essen! Nicht nur, weil wir sonst den Planeten verwüsten, sondern auch, weil wir vergessen haben, was uns gut schmeckt. Kochen bedeutet für die Mehrheit der Deutschen mittlerweile eine Pasta „Mama Mancini“ aus dem Supermarkt in die Mikrowelle zu schieben oder die Paella „nach spanischer Art mit Hähnchenbrust, Meeresfrüchten und Alaska- Seelachs-Filetstücken“ in die Pfanne zu werfen. Das ist industrielle Ernährung, kein kulinarischer Genuss!

Vielleicht wenden Sie ein: Die Zeit! Die Zeit! Natürlich braucht, wer selber kocht, Zeit. Aber das ist doch das Wesen des Genusses: Dass er erarbeitet, erhofft, verdient sein will. Denn nur dann wirkt ein Genuss lange Zeit. Jedenfalls wesentlich länger, als die Haltbarkeit einer Fertigteigpizza.

Nick Reimer