In der SPD-Tourismusstrategie ist Nachhaltigkeit nur eine Randerscheinung

Stellungnahme zum Positionspapier der SPD-Bundestagsfraktion „Anforderungen an eine nationale Tourismusstrategie“ vom 19.2.2019

Die NaturFreunde wurden vor 125 Jahren in Wien als „Touristenverein der Naturfreunde“ gegründet. Ihr Gründungimpuls war es, Arbeiter*innen Zugang zur Erholung in der Natur zu verschaffen und damit nicht nur ihr Leben konkret zu verbessern, sondern auch Kräfte für ihre Emanzipation frei zu setzen. Damals war Tourismus politisch – und er ist es unserer Auffassung nach heute noch.

Wir begrüßen es deshalb, dass die SPD-Fraktion mit ihrem Positionspapier und mit der oben genannten Veranstaltung den Meinungsbildungsprozess innerhalb der Bundesregierung vorantreibt und Akzente setzt, die das Bild der Politik vom Tourismus wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Tourismus ist mehr als ein Wirtschaftszweig. Er ist unter anderem auch ein Gesundheitsthema, ein soziales Konfliktfeld und ein großes Handlungsfeld für Klimaschutz und Nachhaltigkeit.

Die NaturFreunde hätten sich gewünscht, dass diese Einordnung am Anfang des Positionspapiers deutlicher ausgefallen wäre und dass die Ziele der Tourismusstrategie klarer benannt und priorisiert werden. Unserer Meinung nach sind die Zeiten vorbei, in denen Nachhaltigkeit und sozialer Ausgleich nachrangige Ziele nach dem Ziel wirtschaftlicher Entwicklung sein können. Nicht nur die Zuspitzung der Klimakrise fordert hier ein Umdenken.

Das umfangreiche Positionspapier enthält eine Menge guter Vorschläge und Ansätze, doch verliert es sich vom Großen zu sehr auch ins Klein-Klein (kostenlose Trinkwasserspender auf Flughäfen etc.), wobei dann auch unzählige weitere gute Maßnahmen und Vorschläge genannt werden müssten. Deshalb verzichten wir darauf, jeden einzelnen der Vorschläge zu kommentieren. 

Um aus diesen Vorschlägen eine nationale Tourismusstrategie zu entwickeln, müssten die konkreten Schritte zum Erreichen von mittel- und langfristigen Zielen beschrieben werden. Unser Vorschlag dazu ist, der Nachhaltigkeit und der sozialen Teilhabe zumindest gleichwertige Bedeutung neben rein ökonomischen Zielen zu geben.

Auch müssen die unterschiedlichen Zuständigkeiten bei der Umsetzung reflektiert werden, wobei die zivilgesellschaftlichen Akteure und die Sozialpartner einzubeziehen sind. Tourismus(-Politik) ist Sache der Bundesländer, der Bund kann lediglich den Rahmen vorgeben und mit dem ihm zur Verfügung stehenden Instrumenten (Gesetze, Förderpolitik etc.) direkten und in der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit den Ländern indirekten Einfluss ausüben. Ein Herunterbrechen der Forderungen auf konkrete Adressaten und eine deutliche Trennung der Bundes- von den anderen Zuständigkeiten wäre hier hilfreich.

Zudem ist Tourismus ein Querschnittsthema, das in viele andere Politikbereiche und Wirtschaftssektoren hineinreicht. Hier sind dann zuweilen viel „dickere Bretter zu bohren“, damit auch der Tourismus davon profitiert.

Klares Ziel der nationalen Tourismusstrategie aus unserer Sicht muss die Entwicklung und Förderung eines nachhaltigen Tourismus sein. Dies ist zwingend erforderlich angesichts der Anforderungen an den Klimaschutz, den Schutz der biologischen Vielfalt, die Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung und die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen.

Das Positionspapier macht aber – wie viele andere in der Vergangenheit vorgelegte Papiere aus Politik und Tourismuswirtschaft – den Fehler, nachhaltigen Tourismus als einen gesonderten Bereich darzustellen. Der nachhaltige Tourismus ist aber der zentrale, übergreifende Ansatz, an dem alle weiteren vorgeschlagenen Maßnahmen zu messen sind und an den sie anzupassen wären. Vieles ergäbe sich dann von selbst. Klar zeigt sich die Diskrepanz zum Beispiel in den Punkten zur Förderung der Deutschen Zentrale für Tourismus. Eine „zeitgemäße Weiterentwicklung“ und eine „Verstetigung der Bundesförderung auf hohem Niveau“ müsste an Nachhaltigkeitskriterien gebunden werden. Im Sinne des Klimaschutzes wäre hier vor allem eine Fokussierung der Marktbearbeitung auf das nahegelegene europäische Ausland wichtig, um Klimaschutzziele nicht mit Langstreckenflügen zu konterkarieren. 

Insgesamt sind die aufgestellten acht Fragen richtig und bilden alle relevanten Bereiche ab. Auffällig dünn ist der Abschnitt zum Luftverkehr. Hier fehlen klare Bekenntnisse zum Klimaschutz und Maßnahmen, welche helfen, Alternativen zum Flug aufzuzeigen, den touristischen Luftverkehr zu verteuern, zu begrenzen und sogar zu reduzieren. Einem Ausbau der touristischen Infrastruktur zur Erreichbarkeit per Luft muss eine klare Absage erteilt werden. Eine Verlagerung von Inlandsflügen auf die Schiene gelingt nicht nur durch „Optimierung des Zusammenspiels der Verkehrsträger“, sondern muss durch eine eindeutige Preispolitik flankiert werden, die nur durch eine Umgestaltung der steuerlichen Anreize und Belastungen im Sinne des Klimaschutzes möglich ist. Ebenfalls kann es nicht im Sinne einer Nachhaltigkeitsorientierung sein, die Infrastruktur für Kreuzfahrtschiffe auszubauen. Bestehende Strukturen müssen so ausgestaltet werden, dass beispielsweise eine Verpflichtung zur Nutzung von Landstrom ausgesprochen werden kann.

Eine nachhaltigere Ausgestaltung des Tourismus ist nicht durch eine Aktivierung des Marketings für nachhaltige Angebote, mehr Transparenz und weitere Sensibilisierung der Bevölkerung erreichbar. Dies sind zwar begrüßenswerte Ansätze, sie täuschen aber darüber hinweg, dass weiterhin eine Abwälzung der Verantwortung auf die Verbraucher erfolgt und die notwendigen politischen Regulierungsmaßnamen weiter auf sich warten lassen. Gesondert soll hier noch der Punkt 5.w. „Förderung des Sports in den Bergen und an der See“ angesprochen werden. Hier muss klargestellt werden, dass sich dahinter beispielsweise nicht der weitere Ausbau von Infrastruktur für den Wintertourismus verbirgt, sondern sanfte Tourismusformen, gekoppelt mit nachhaltigen Mobilitätslösungen, gemeint sind.  

Was den Bund betrifft, sind vor allem folgende Schlüsselmaßnahmen notwendig:

  • Einschwören sämtlicher Bundesressorts auf die Ausrichtung ihrer Politik und Arbeitsweise auf eine nachhaltige Entwicklung
  • Nachhaltige Mobilität noch stärker fördern und ausbauen, klimaschädlichen Flugverkehr deckeln
  • Entwicklung und Förderung des ländlichen Raumes vorantreiben
  • Fördermittel für Tourismus verstärken und an Nachhaltigkeitsprinzipien ausrichten
  • Verstärkung des Dialogs und der Koordination der Tourismusangelegenheiten mit den Ländern.

Wir begrüßen, dass mit der Forderung nach Weiterentwicklung und Stärkung von Angeboten der Familienerholung und Freizeiten für Familien mit kleinen Einkommen und Sozialleistungsempfänger*innen die soziale Inklusion beim Tourismus in den Blick genommen wird. Wir NaturFreunde betreiben einige Familienferienstätten und wissen daher, wie schwierig es heute ist, Angebote für diese Zielgruppen zu erhalten. Viele Anbieter wie zum Beispiel der Jugendherbergsverband schließen Häuser vor allem in ländlichen Gebieten und eröffnen stattdessen Hostels in attraktiven Stadtlagen. Das ist unserer Meinung nach nicht der Sinn der Sache, aber leider verständlich. Weil Familienferienstätten kaum noch Förderung erhalten, unterbleiben wichtige Investitionen, um diese attraktiv zu halten und sie für Menschen mit Behinderungen und andere neue Zielgruppen wie z.B. Pedelec-Radwander*innen zugänglich zu machen.

Wir würden uns wünschen, dass Bund und Länder Familienerholung für diese Zielgruppen wieder als ihre Aufgabe erkennen. Die NaturFreunde werden dazu auch weiterhin sehr gerne ihren Beitrag leisten. Unsere Angebote für diese Zielgruppen verbinden Nachhaltigkeit, Naturerleben und soziale Inklusion miteinander. Beim Konzept des sozialen Wanderns, auf unseren über 400 Natura Trails und im Rahmen von organisierten Touren zu Rad und zu Wasser kommen auch Bildung und Kultur nicht zu kurz.

Wir würden uns freuen, wenn als Ergebnis der Tourismus-Strategie der Bundesregierung solche zivilgesellschaftlichen Initiativen besser miteinander vernetzt, unterstützt und ausgebaut werden könnten.