Wohnen ist ein Menschenrecht – bezahlbarer und menschenwürdiger Wohnraum für alle!

Ein Beschluss des 31. Bundeskongresses der NaturFreunde Deutschlands

Das Menschenrecht auf Wohnen ist in der Allgemei­nen Erklärung der Menschenrechte sowie im von der Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1973 ratifizier­ten Pakt der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UN-Sozialpakt) festge­schrieben. Es beinhaltet den Anspruch auf hinrei­chenden Wohnraum mit der notwendigen Infrastruk­tur wie Wasser und Strom, den Schutz vor staatlichen und privaten Eingriffen in der Wohnung, den offenen und diskriminierungsfreien Zugang zum Wohnraum wie auch eine menschenwürdige Wohnqualität (Min­destbedingungen an Wohnbarkeit, Gesundheit und Sicherheit sowie kulturelle Vielfalt des Wohnens). Die Hauptverantwortung für die Umsetzung des Men­schenrechts auf Wohnen kommt dem Staat zu.

Das Recht auf „angemessenen“ Wohnraum ist we­sentlicher Bestandteil der öffentlichen Daseins­für­sorge. Die Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte hat jedoch diesen Grundsatz nicht verfolgt und statt­dessen zu einer immer mehr zunehmenden Schief­lage auf dem Wohnungsmarkt beigetragen. Seit 2009 sind die Angebotsmieten in den Großstädten über­proportional gestiegen und haben sich von der Infla­tion und der Einkommensentwicklung entkoppelt. Beispielsweise stiegen in München die Angebotsmie­ten um 61 %, in Heilbronn um 76 % und in Berlin sogar um 104 %. Für viele ist die Stadt damit unbe­zahlbar geworden. Gründe für die Preissteigerungen sind die ständig abnehmende Anzahl an Sozialwoh­nungen, das Ende der gemeinnützigen Wohnungs­wirtschaft in den 1990er-Jahren sowie eine verfehlte Boden- und Planungspolitik.

Die Mietsteigerungen sind Ergebnis einer unsozialen Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte. Immer mehr monopolartige Fonds verwalten Wohnraum und set­zen rigoros ihre Gewinninteressen durch. Die Folge ist eine rücksichtslose Verdrängung bisheriger Mie­ter*innen und oftmals ein hemmungsloses „Raussa­nieren“. Durch die Privatisierungspolitik der letzten Jahrzehnte wurden allein in Berlin mehr als 300.000 ehemals öffentliche Wohnungen an private Fonds und Großinvestor*innen verkauft. Diese großen Akti­enkonzerne und Fonds ziehen aus der Vermietung Profite für wenige Anteilsbesitzende und treiben damit die große Umverteilung der letzten Jahrzehnte durch Wohnungsmieten weiter an.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, dass dem Land Berlin keine Kompetenz bei der Schaffung eines Mietendeckels zusteht, fordern die NaturFreunde die neue Bundesregierung auf, einen bundesweiten Mietendeckel sofort umzusetzen. Die NaturFreunde unterstützen deshalb die von DGB, Pa­ritätischem Gesamtverband, Berliner Mieterverein und Deutschem Mieterbund gestartete Kampagne „Mietenstopp!“ sowie Initiativen zur Rekommunali­sierung und wo nötig Vergesellschaftung der Woh­nungsbaubestände.

Die NaturFreunde setzen sich für die Erhöhung der Wohnqualität in den Wohnquartieren ein, indem durch eine Aufstockung und Weiterentwicklung der Städtebauförderung der Um- und Ausbau der Wohn­quartiere hin zu einer sozialen, klimagerechten und klimaangepassten Stadt gefördert wird. Die Städte, Gemeinden und Regionen müssen nach ökologi­schen, sozialen und kulturellen Bedürfnissen der dort Wohnenden umgebaut werden. Bestehende Gebäude müssen energetisch saniert werden, ohne dass dies zur Verdrängung oder Mieterhöhung führt.

Wir halten es für einen Skandal, dass auf Druck der CDU/CSU sowohl die Kosten der energetischen Sanie­rung auf die Mieter*innen abgewälzt werden können, die Mieter*innen aber auch die Kosten wegen der ge­stiegenen CO2-Abgabe allein tragen müssen. Die Mie­ter*innen haben weder Einfluss auf den Weiterbe­trieb einer alten oder den Einbau einer neuen Hei­zung, noch auf Wärmedämmmaßnahmen. Dies ist ungerecht und verschärft das Problem der Energiear­mut. Damit machen die Hausbesitzer*innen einen doppelten Profit: Sie kassieren eine höhere Miete und kommen in den Genuss der Wertsteigerung.

Zum Schutz der Mieter*innen gegen Entmietung und Verdrängung muss der öffentliche und gemeinnützige Sektor auf allen Feldern der Wohnungs- und Mietpo­litik ausgeweitet und gestärkt werden. Dazu zählen auch das Bau- und Planungsrecht sowie eine soziale Bodenpolitik. Insbesondere der Spekulation mit Bo­den muss ein Riegel vorgeschoben werden. Jetzt noch im Besitz der öffentlichen Hand befindliche Flächen dürfen nicht mehr veräußert, sondern nur noch über Erbpachtmodelle vergeben werden. Von Bund und Ländern nicht mehr benötigte Flächen und Immobi­lien müssen auf Antrag der Kommunen diesen über­lassen werden. Zu prüfen sind auch Preisobergren­zen, damit ein soziales Gleichgewicht bewahrt wer­den kann.

Im Bau- und Planungsrecht müssen alle Möglichkei­ten umfassend genutzt und erweitert werden, um das Recht auf ein menschenwürdiges Wohnen besser zu schützen und Verdrängung, Umwidmung und Ent­mietung von preiswertem Wohnraum zu stoppen. Wohnen ist ein knappes Gut, dass durch öffentliche Vorgaben gesichert werden muss. Die Erzählung, dass die unsichtbare Hand des Marktes nur genügend Freiheiten bräuchte, um günstigen Wohnraum zu schaffen, ist gescheitert. Wohnraum entsteht nur, wenn der Staat diesen fördert.

Wir fordern die Bundesregierung auf, die Wohnungs­gemeinnützigkeit wieder einzuführen und die rechtli­chen Rahmenbedingungen im Genossenschaftsrecht zu reformieren, damit sie ihren ursprünglichen Zielen der Förderung der solidarischen Selbsthilfe gerecht werden. Wohnungsgenossenschaften müssen sich auf ihre historischen Wurzeln zurückbesinnen, um ein solidarisches Zusammenleben möglich zu ma­chen.

Von der nächsten Bundesregierung fordern die NaturFreunde darüber hinaus:

  • § 559 im BGB zu streichen, der häufig für Willkür und Vertreibung genutzt wurde, und die Moder­nisierung von Häusern und Wohnungen neu zu regeln, damit die Rechte der Mieter*innen ge­schützt werden. Die Modernisierungsumlage darf kein Instrument der Vertreibung, Entmietung und Willkür sein;
  • den hemmungslosen Missbrauch von Wohnungs­modernisierungen zu beenden und ihn hart zu bestrafen. Modernisierung hat mit Reparaturen nichts zu tun, zu deren Durchführung die Vermie­ter*innen ohne Erhöhung der Miete verpflichtet sind;
  • eine wirksame Mieter*innenmitbestimmung bei Modernisierungsmaßnahmen einzuführen, die die Mieter*innenrechte bei Planung, Durchfüh­rung und Vergabe stärken und ein Vetorecht ver­ankern;
  • das Recht auf Ablehnung von Modernisierungs­maßnahmen aus sozialen Härtegründen festzu­schreiben;
  • die Abschaffung der Modernisierungsumlage und eine gesetzliche Festschreibung, dass bei energe­tischen Modernisierungen die Miete nicht stärker steigen darf, als Mieter*innen an Heizkosten spa­ren;
  • den hemmungslosen Missbrauch von Betriebs­kostenabrechnungen zu beenden, der nicht dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit (§ 560 BGB) ent­spricht, zum Beispiel durch Firmen in Vermie­ter*inneneigentum (Insourcing-Methode). Die Be­weislast muss bei den Vermieter*innen liegen;
  • die Wiedereinführung der Wohngemeinnützig­keit zum Ausbau des nicht profitorientieren Sek­tors auf dem Wohnungsmarkt;
  • die Schaffung eines Aufbauprogramms „Neue Wohnungsgemeinnützigkeit“, um Kommunen bei der Überführung von Wohnraum in die Ge­meinnützigkeit und Schaffung von neuem Wohn­raum zu unterstützen;
  • ein Verbot der Zweckentfremdung von Wohnun­gen, zum Beispiel durch die Nutzung als kom­merzielle Ferienwohnungen;
  • die Einführung eines Klimawohngeldes, damit so­zial Benachteiligte bei energetischen Modernisie­rungen mögliche höhere Wohnkosten bezahlen können;
  • die Weiterentwicklung beziehungsweise Ver­schärfung der Mietpreisbremse;
  • die Einführung einer verpflichtenden Vorher-Nachher-Analyse bei energetischen Modernisie­rungen durch die Vermieter*innen;
  • die Schaffung von mindestens 250.000 Sozial­wohnungen pro Jahr;
  • ein gesetzliches Verbot der Spekulation mit Wohnraum an der Börse.

Mit der Initiative Mietenstopp fordern die Natur­Freunde:

  • Die Mieten sollen auf dem jetzigen Stand flächen­deckend und bundesweit für sechs Jahre einge­froren werden;
  • damit faire Vermieter*innen, wie etwa viele Ge­nossenschaften und private Vermieter*innen, nicht in Bedrängnis kommen, soll ihnen eine ma­ximale Mietsteigerung von 2 Prozent jährlich er­laubt sein. Dies, insoweit die bislang gezahlte Miete bestimmte Oberwerte nicht übersteigt.

Verabschiedet vom 31. Bundeskongress der NaturFreunde Deutschlands, der vom 8.–10. Oktober 2021 in Falkensee bei Berlin tagte.